Aus Theorie und Praxis

 

Peter Lenk in Schwerin

Der Kulturchef der Schweriner Volkszeitung
führte anläßlich der Ausstellung von Peter Lenk auf dem Platz
vor dem Schweriner Schloß,
wo die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern
ihren Sitz hat, mit dem Bildhauer aus Bodman am Bodensee das nachfolgende Gespräch

 

Ein Glaubenssatz voller Popularität: "Kunst muß schön sein". Kunst, die auf den ersten Blick diese Sicht nicht bedient, sorgt für Aufregung. Wie jetzt im alten Garten in Schwerin die Figuren des Plastikers Peter Lenk aus Konstanz. Schmunzeln, Lachen, Empörung. Mal sitzt ein Kind auf einer dicken Frau, mal läßt sich eine Schlanke daneben fotografieren. Zwischen dem hehren Fürstenritt hoch überm Schloßportal und den edlen Klassik-Szenen über der Museumstreppe entsteht Spannung durch "unschöne Gestalten". Ein Irrtum? Des Künstlers oder einiger Betrachter?
 

Das Interview:

Lenk antwortete der Schweriner Volkszeitung


Bildende Kunst mit Biß hat Tradition und viele Gesichter: der Franzose Daumier und der Deutsche Grosz gehören dazu. Herr Lenk, wo liegen Ihre Wurzeln?

Eher bei Friedrich Dürrenmatt.

Der Plastiker beruft sich auf einen Bühnenautor!

Warum nicht? Mich interessiert seine These, dass man unser Leben eigentlich nur noch durch die Komödie begleiten oder ertragen kann. Damit hat er geholfen. Da beginnt dann auch der Konflikt mit dem heutigen Kunst-Establishment, das lieber die Zersetzung, das Tote eigentlich zelebriert, aber natürlich im Cocktailkleid Ich bin nach alten Regeln in der Akademie ausgebildet, und so forme ich meine Figuren immer zu Ende. Meine Freund , alles Abstrakte, raten mir " Mensch, laß es halbfertig, laß die Moniereisen rausstehn, du wirst so banal, wenn du fertig bist. Ich kann zwar mit solchen Strukturen gedanklich etwas anfangen, nur ist es nicht meine Welt. Ich liebe eben auch den Holländer Adriaen Brouwer mit seinen herrlich kräftigen Kneipenfiguren. Ich zeige lieber den ganzen Menschen.

Sie gehen damit ziemlich direkt auf Realität ein, das ist doch für viele Künstler Uropas Ausdruck wie kommen Sie auf Gestalten, die sich im Bade präsentieren oder auf hohen Sesseln thronen und nicht gerade das sind, was landläufig eine gute Figur heißt?

Was Sie meinen, das literarische kommt am Ende. Für mich beginnt es mit dem Material. Jedes hat eine Seele. Wenn ich Eisenplastiker wäre, würde mich der menschliche Körper gar nicht so interessieren. Dieser Ton, aus dem die Figuren zunächst gemacht werden, hat eine unheimliche Lebendigkeit. Wenn sie später in Zement abgegossen werden, kommt das auch heraus. Diese Tonseele interessiert mich. Nicht umsonst heißt es ja der Mensch ist aus Ton oder Lehm gemacht. Darin liegt die Spontaneität der Figuren, und deshalb kann sich das Publikum ihnen nicht entziehen, egal, ob im Spaß oder im Zorn. Da eignen sich natürlich Themen, wo Falten vorkommen, groteske Verdrehungen. Ich gehe nicht her und mach eine Dicke, die auf Gran Canaria zu sehen ist. Ich entwickle eine Figur, die dazu wird.

Also sind Ihre Figuren nicht nur Karikaturen?

Natürlich gibt es Ironie dabei. Dieser Schauspieler, der in Schwerin vor dem Theater als Scharfrichter steht, gehört dazu. Er hat in einem Stück diese Rolle gespielt, in der er sich als kleiner Gott, als Perseus fühlt. Und nun ist er nicht der Athlet Perseus, wie er in Florenz steht, sondern ein kleiner Dicker. Das ist mal ein Porträt. Aber meistens geht es umgekehrt. Eine Figur, wie der alte Jude Volpone, der, die Beine übereinander, abgeklärt auf die Welt schaut, die gibt es nicht als Vorbild. Die kann man auch nicht vorher zeichnen, die entwickelt sich aus dem Material. Im Leserbrief einer Zeitung hat man mir mal vorgeworfen, ich würde mich mit entarteter Kunst über Juden lustig machen. Eine Jüdische Sängerin hat schallend darüber gelacht. Ausgerechnet diese Bezeichnung in diesem Zusammenhang. Das ist zum Nachdenken. Oder doch zum Lachen? Diese Figur jedenfalls wird vom Publikum angenommen mit Sympathie, und sie ist vielleicht am Ende dieses Jahrhunderts, das aus sehr viel Menschenverachtung bestand, doch eine Figur der Menschenliebe und deshalb wichtig.

Und der Kaiser kein Spott, der Papst keine Blasphemie?

Die sehe ich nicht als Karikaturen, eher melancholisch und ironisch. In Konstanz sitzen sie ja auf einer Kurtisane und drehen sich auf einer 18 Meter hohen Anlage in der Hafeneinfahrt: Der alte König, betrogen im Rausch vergangener Feste. Der Papa mit verbotenen Wünschen im Damensitz, göttlicher Witz. Eine Anspielung auf mittelalterliche Päpste, die, wie jeder weiß, keine Kostverächter waren. Klar, das hat Konflikte gegeben, wir haben das dort bei Nacht und Nebel aufgestellt, und ich war der Antidemokrat. Als 75 Prozent der Bevölkerung laut einer Befragung dafür waren, wurde ich flugs zum Populisten.

Jetzt sind wir beim Publikum. Soll der Bürger erschrecken, wenn er Ihre Skulpturen sieht?

Es erschrecken welche, aber das ist nicht meine Absicht. Ich bin auch kein Provokateur. Andere sagen mir eher, ich sei harmlos. Ja ich bin ein harmloser Mensch kein Ungeheuer, und ich halte nichts von. Monumentalität, wenn ich mir einen Menschen angucke. Ich möchte nur etwas machen, wo ich denke, das gibt es so noch nicht. Denken Sie auch an das Löwendenkmal auf dem Markt in Schwerin. Löwen gibt es durch die ganze Kunstgeschichte, da reizt es, einen anderen mit anderem Umfeld zu machen.

Nur erregt das Andersaussehen eines Löwen die Leute weniger. Heftiger reagieren Sie, wenn sie sich selbst anders dargestellt sehen, als sie sich das wünschten.

Der Löwe, wenn er könnte, wäre wahrscheinlich auch aufgeregt. Nehmen wir mal die mythologische Circe, die Männer in Schweine verwandelt.

Das machen doch heute Männer oft schon selber.

Das meine ich eben auch. Wenn ich sehe, wie Mädchen als Ware verkauft werden, wie scheinheilig und verlogen die Prostitution behandelt wird wie menschenverachtend sogenannte Bums-bomber nach Thailand fliegen, damit man es auch mit Kindern treiben kann, dann fange ich das bissig satirisch auf. Wer es nicht versteht oder anders denkt, nimmt mir das persönlich übel, daß ich zeige, was doch besser verborgen bliebe. Wer aber regt sich, eigentlich auf, wenn von verschlankten Betrieben geredet wird, wo der Mensch demnach der Speck ist, der entfernt werden muß? Ist da auch der Künstler schuld? Der kritische Künstler, wie ich, hat Sponsoren, selbst welche mit Humor, immer nur einmal.

Komödie und Satire haben es traditionell schwer in Deutschland, doch welche Moral steckt bei Ihnen dahinter?

Den moralischen Zeigefinger will ich nicht schwingen. Ich finde es absurd, wenn jemand den Ozonaufkleber öffentlich führt und heimlich nach Tunesien jettet. Ich kann auch nicht den ökologischen Finger heben, wenn ich mit Zement arbeite. Manches ist tatsächlich nur satirisch erträglich. Für mich ist aber auch die Poesie wichtig. Ein Amor etwa. Als Gegenstück. Weil man doch mit den täglichen Schreckensmeldungen der Medien allein gelassen wird. Was Moral angeht, schon zu Zeiten, da bei uns im Westen viele Leute Herrn Honecker noch hofiert haben, habe ich in Berlin die "Mauerkieker" aufgebaut, Figuren auf Stelzen, ich dachte, Vopos, die lachen müssen, schiessen nicht. Wir Künstler haben immer gesagt, Mauer muß weg. Mir aber hat man, im Westen wohlgemerkt, vorgeworfen, ich werde den Mauer-Frieden stören. Pervers. Mit Ost-West-Konflikten habe ich also früh zu tun gehabt.

Und was soll, was darf der Ossi denken, wenn er Ihre überwohlständigen „Badenden Wessis“ sieht? Wird der Ossi denen nachstreben?

Glaub´ ich nicht. Viele werden so beschissen, daß sie in diese Lage nicht kommen. Diese 40 Jahre Konsum kann der Osten, vielleicht Gott sei Dank, nicht einholen. Deshalb stelle ich auch fest, daß hier wesentlich mehr Humor lebendig ist. Das liegt daran, daß einem der Humor hilft, wenn man mit Diktatur zu tun hat. Da warnt einer der Witz-Erzähler, du, ich bin bei der Volkspolizei. Macht nichts, sagt der, ich erzähle, so lange, bis du ihn verstehst. Wir hatten mehr die Sexwitze und ständig die große Frage, ob wir einen Kredit bekommen.

Ihre Figuren haben großen Zulauf, aber nicht nur große Zustimmung.

Das ist normal. Viele sind mit ganz anderen Kunstvorstellungen aufgewachsen. Bei manchen Jahrgängen steckt wohl auch noch der Begriff „Entartete Kunst“ irgendwie in den Köpfen. Dann gibt es noch moderne Hochstapler Die meisten aber freuen sich, wie ich höre. Eine ältere Dame hat mich gefragt ob ich etwas gegen Dicke habe. Nein, hab ich gesagt, überhaupt nicht, Dicksein ist keine Schande, höchstens: nichts abgeben.

Sie fabulieren, anders als die Hochmodischen in den Galerien, deftig und konkret auf der Erde.

Und komme im Zweifelsfall lieber in die Hölle.
 

 

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